Kann Wasser im See kälter als 4 Grad werden

Die russische Kältepeitsche hat die Schweiz im wahrsten Sinne des Wortes einfrieren lassen. Doch damit auch unsere Seen zu übergrossen Eisfeldern werden, müssen spezielle Bedingungen herrschen.

Zugegeben, diese Tage wird jede noch so kurze Aktivität im Freien zur Qual. Temperaturen im zweistelligen Minusbereich und die tiefe Luftfeuchtigkeit sorgen für Eiskristalle am einen oder anderen Schnäuzer und lassen Wasser und Seifenblasen im Nu gefrieren.

Wie kann es nun sein, dass wir uns hüten müssen, keinen Tropfen Wasser zu verschütten, um nicht gleich auf einer Eisblase auszurutschen, während Seen bei diesen Temperaturen (noch) nicht einfrieren? Das Zauberwort heisst Kältesumme. Das heisst, dass es nicht nur wichtig ist, welche Temperatur herrscht, sondern auch, wie viele Tage am Stück es kalt ist.

Ein kleiner Exkurs in den Physikunterricht: Wasser besitzt bei 4 Grad Celsius seine grösste Dichte, ist dann also am schwersten. Das heisst, dass Wasser, welches kälter als die besagten 4 Grad Celsus ist, nach oben steigt. In der Folge friert ein See immer von oben her zu – und zwar dann, wenn alles Wasser im See maximal 4 Grad Celsius kalt ist. Somit ist nun auch klar, weshalb flache Seen schneller gefrieren als tiefe. Experten ziehen zur Berechnung der sogenannten «Seegfrörni» zusätzlich den Wert der Kältesumme bei. Dabei handelt es sich um die Summe aller Tage eines Monats (oder Winters) mit einer negativen Tagesmitteltemperatur.

SRF Meteo hat die Kältesummen von einem halben Dutzend Schweizer Seen aufgelistet. Demnach bräuchte es satte 370 negative Gradtage, um den Bodensee (254 Meter Tiefe) gefrieren zu lassen. Wir haben aufgrund der Liste kurz den Dreisatz angewendet und sind zum Schluss gekommen, dass unsere Glarner Kollegen während rund 170 Tagen Minustemperaturen aushalten müssen, damit ihr wunderschöner Klöntaler See (49 Meter Tiefe) zur Eisfläche wird. Im Süden Graubündens braucht es gar 230 Tage bis beispielsweise der 84 Meter tiefe Puschlaversee vollständig gefriert. Bei diesen Zahlen überlegt man sich zwei mal, ob man die Schlittschuhe nicht mit den Badehosen tauschen und sich bereits den Sommer herbeisehnen möchte...

Übrigens, die Kältesumme wird auch eingesetzt, um die Strenge eines Winters (von November bis März) zu berechnen. Das ganze sieht dann wie folgt aus: 

Summe < 100 = sehr milder Winter Summe 100 bis 200 = normaler Winter Summe 201 bis 300 = mäßig strenger Winter Summe 301 bis 400 = strenger Winter

Summe > 400 = sehr strenger Winter

Audio herunterladen ( | MP3)

Nein, nach unten hin wird das Wasser generell immer kälter. Die einzige Ausnahme bilden hier die im weitesten Sinn vulkanischen Stellen des Erdbodens, wo entweder heißes Gestein am Meeresboden austritt, oder bei den sogenannten Schwarzen Rauchern, das sind Stellen, an denen aus dem Meeresboden aktiv kochend heißes mineralreiches Wasser austritt, also superheiße Thermalquellen. Das können 400 Grad heiß sein. Solche Schwarzen Raucher finden sich dort, wo der Meeresboden auseinanderreißt, also bei den Mittelozeanischen Rücken. Das sind nur punktuelle Zonen mit wärmerem Wasser.

Ansonsten hat das Meerwasser am Boden eine Temperatur von 2 Grad Celsius oder noch kälter. Es ist also anders als an Land, im festen Gestein. Das wird nach unten tatsächlich immer wärmer, man sagt 3 Grad pro hundert Meter. Das ist im Meer nicht so, weil das Meer ständig in Bewegung ist und sich auch bewegen kann. Warmes Wasser ist leichter als kaltes und steigt auf, während kaltes Wasser absinkt. Das passiert ständig.

Nehmen wir den Atlantik: Wir kennen alle den Golfstrom; der transportiert warmes Wasser aus den Tropen Richtung Norden. Je weiter das Wasser Richtung Norden strömt, desto mehr kühlt es ab, und irgendwann ist es so kalt und dicht, dass es im Nordatlantik in die Tiefe absinkt. Und so haben wir insgesamt eine klare Schichtung im Meer: Oben ist das von der Sonne erwärmte warme Wasser, und nach unten hin wird es immer kälter – zum Teil herrschen sogar Temperaturen unter Null.

Das Wasser müsste doch zu Eis werden?

Nein, denn am Meeresgrund herrscht ein ziemlich hoher Druck und das Meerwasser salzig. Salzwasser hat einen niedrigeren Gefrierpunkt als Süßwasser, kann also im flüssigen Zustand kälter werden. Gerade im Bereich der Antarktis ist das Meerwasser zum Teil noch deutlich salziger als normal. Und je salziger es ist, desto schwerer ist es. Dazu ist das Wasser sehr kalt, und weil es so salzig und kalt ist, ist es besonders schwer und sinkt an den Meeresgrund. Deshalb kann das Wasser am Meeresboden Temperaturen von 1 bis 2 Grad unter Null haben.

Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Kann Wasser im See kälter als 4 Grad werden

creativecommons.org

Wasser verhält sich anders als die meisten anderen chemischen Stoffe. In fast allen Substanzen fügen sich Atome und Moleküle umso dichter zusammen, je kälter es wird. Sie erstarren. Wasser hingegen hat seine größte Dichte bei 4 Grad Celsius, weil sich die Wassermoleküle bei dieser Temperatur am dichtesten zusammenlagern. Viele Süßwasserseen weisen an ihrer tiefsten Stelle eine Temperatur von 4 Grad auf, weil das schwere Wasser zu Boden sinkt. In der festen Phase, im Eiskristall, liegen die Wassermoleküle erstaunlicherweise wieder weiter auseinander. Man spricht daher auch von der Anomalie des Wassers. Eis ist also leichter und schwimmt oben. So sind auch die großen Meeresgebiete in polaren Breiten mit Eis bedeckt. Die Ursache für diese Anomalie sind die besonderen Eigenschaften des Wassermoleküls (H2O). Sein Sauerstoffatom (O) und die beiden Wasserstoffato­me (H) sind asymmetrisch angeordnet. Das Wassermolekül wird damit zum Dipol, zu einem Molekül mit einem negativ und einem positiv geladenen Ende. Je nach Temperatur ordnen sich diese Dipole nach ihren Ladungen zu Aggregaten zusammen – beispielsweise zu einem Eiskristall. Der Dipolcharakter des Wassers ist für das Klima ganz entscheidend: Da die Wasserdipole wie kleine Magnete zusammenhalten, reagiert Wasser relativ träge auf Erwärmung oder Abkühlung. Tatsächlich besitzt Wasser die höchste Wärmekapazität unter den flüssigen und festen Stoffen – mit Ausnahme von Ammoniak. Das bedeutet, dass Wasser große Mengen Wärme aufnehmen kann, bevor es verdampft. Auch der Gefrier- und der Siedepunkt des Wassers (0 beziehungsweise 100 Grad Celsius), die so alltäglich erscheinen, sind eher ungewöhnlich. Wäre das Wassermolekül symmetrisch und damit kein Dipol, würde Wasser schon bei minus 110 Grad Celsius schmelzen und bei minus 80 Grad sieden. Die Trägheit des Klimas ist vor allem Folge dieser hohen Wärmekapazität. Das Wasser beeinflusst das Klima aber nicht nur im flüssigen oder festen Zustand. In Form von Wasserdampf hat H2O einen entscheidenden Einfluss auf den Wärmehaushalt der Erde: Wasserdampf allein trägt zu etwa zwei Dritteln zum natürlichen Treibhauseffekt bei. Zudem verstärkt es die Klimawirkung anderer Stoffe. Steigt beispielsweise die Temperatur infolge eines höheren Kohlendioxidgehalts, so steigt auch der Gehalt an Wasserdampf, da eine wärmere Atmosphäre dauerhaft mehr Wasserdampf speichern kann. Da Wasser wegen seines Dipols Infrarotstrahlung sehr wirksam absorbiert, verdoppelt es in etwa die ursprüngliche durch das Kohlendioxid hervorgerufene Erwärmung. Eine weitere Eigenschaft des Wassers ist, dass es Salze lösen kann. Der Salzgehalt des Meeres beträgt durchschnittlich 34,7 Promille. Dieser verändert wiederum die Eigenschaften des Wassers. So verschiebt sich das Dichtemaximum von plus 4 Grad beim Süßwasser auf minus 3,8 Grad. Dieser Wert liegt sogar unter dem Gefrierpunkt von Meerwasser von minus 1,9 Grad. Anders als im Süßwasser nimmt die Dichte des Salzwassers also zu, wenn es unter plus 4 Grad Celsius abkühlt. So bildet sich dichtes Wasser, bis schließlich die Eisbildung einsetzt. Diese Dichteeigenart ist der Motor für eines der wichtigsten Elemente des Klimasystems – die Konvektion: Abgekühltes dichtes und damit schweres Salzwasser sinkt in die Tiefe ab. An der Meeresoberfläche strömt relativ warmes Wasser nach.

Kann Wasser im See kälter als 4 Grad werden
Kann Wasser im See kälter als 4 Grad werden

1.7 > Das Wassermolekül ist asymmetrisch und weist daher auf seinen beiden Seiten unterschiedliche Ladungen auf (links). Man spricht von einem Dipol. Dadurch verhält es sich anders als andere Substanzen. Eis ist weniger dicht (oben) und schwimmt an der Oberfläche. 4 Grad kaltes Süßwasser ist am dichtesten (unten) und sinkt in die Tiefe. Warmes Wasser schichtet sich darüber ein (Mitte). Abb. 1.7: © maribus